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Archiv-Artikel

Oliver Kahn vermisst Herz und Geist im deutschen Team

Nach dem 1:3 im Länderspiel gegen Spanien ergeht sich nicht nur der Kapitän der DFB-Mannschaft in teilweise irrationalen Selbstbezichtigungen

PALMA DE MALLORCA taz ■ Ein letzter Abschlag noch, doch Oliver Kahn wollte den Ball gar nicht mehr seinen Stürmern zuspielen. Er wollte nur noch seine Wut loswerden. Blind vor Zorn drosch er den Ball nach vorne, viel zu hoch, viel zu ungenau. Dann war auch schon Schluss, bloß Oliver Kahn, vielleicht der beste, sicher der ehrgeizigste Torwart der Welt, konnte seine Laune nicht so einfach abpfeifen, wie man ein Fußballspiel abpfeift. In hohem Bogen, aber ohne ihnen nachzublicken, warf er seine Torwarthandschuhe hinter sich. Es gab ein paar Ordner, die das Pech hatten, ihm auf seinem Marsch in die Umkleidekabine im Weg zu stehen; sie sprangen – wirklich: sie sprangen – schnell zur Seite. Noch auf dem Rasen hatte er sich mit einer rüden Geste geweigert, mit Iker Casillas, seinem jungen, spanischen Gegenüber, das Trikot zu tauschen, was ihm tags darauf prompt unschöne Schlagzeilen einhandelte. „Kahn ist ein Flegel, und vor allem hat er das ungeschriebene Gesetz der Kameradschaft unter Fußballern gebrochen“, stellte beispielsweise El País fest.

Wieder mal der Kahn, dachten bereits am Abend die meisten, die ihn aus dem Stadion Son Moix von Palma de Mallorca stapfen sahen. Torhüter können die Aggression, die eine Niederlage mit sich bringt, nicht im Spiel abbauen, sie haben keine Zweikämpfe, in die sie ihre Frustration legen könnten. Aber es war nicht der Kahn; es war die gesamte Nationalelf: Die 1:3-Niederlage im Testspiel gegen Spanien ließ bei den deutschen Spielern einen unendlichen und in der Heftigkeit verblüffenden Zorn auf sich selber zurück. Die meisten Zuschauer hatten ein gefälliges Match gesehen, wenngleich den Deutschen der letzte Einsatz, die letzte Konsequenz fehlte, ein typisches Freundschaftsspiel halt. Bloß die Mannschaft selbst sah ein Desaster. „Einige bei uns müssen aufwachen und wieder verstehen, worum es in einem Länderspiel geht“, zürnte Kahn, „da muss mehr Herz, mehr Geist rein.“ Sie hätten zu wenig getan, beschwerte sich Dortmunds Verteidiger Christian Wörns, an diesem Abend der beste Deutsche, über sich selbst: „Andauernd kamen wir zu spät.“ Und dem Bundestrainer Rudi Völler, im Bild der Öffentlichkeit der netteste Kerl von nebenan, zitterte vor Ärger der Schnauzer. Schon bei der ersten halbwegs kritischen Anmerkung verlor er auf der Pressekonferenz die Fassung: „Total bescheuerte Frage“, fuhr er den Reporter an.

Vermutlich war es eine Weltneuheit, die man in Palma erleben durfte: dass Fußballer die eigene Leistung kritischer als die Kritiker betrachteten. Nüchtern, mit dem Abstand von 36 Stunden besehen, waren die Wut und die Selbstbeschuldigung der Deutschen irrational überzogen. Sie hatten 75 Minuten zwar freundschaftlich unbekümmert, aber nicht viel schlechter als die Spanier gespielt. Fredi Bobic hatte mit mehr Glück als Verstand, als ihm der Ball ans Knie und von dort ins Tor sprang, das frühe 1:0 durch Madrids Weltklassestürmer Raúl ausgeglichen. Erst zum Ende, als Rául per Elfmeter sein zweites Tor schoss, Guti auf 3:1 erhöhte, war es nicht mehr lustig. Doch es hat zu viele solcher Freundschaftsspiele gegeben, als dass sich irgendein Zuschauer groß darüber aufgeregt hätte – warum es diesmal die Spieler selbst taten, eröffnete Mittelfeldspieler Jens Jeremies: „Seit Jahren schon haben wir nicht mehr gegen eine große Fußball-Nation gewonnen.“

Diese Mannschaft wird offenbar getrieben vom Glauben, sie müsste etwas nachreichen; sie müsste ihren zweiten Platz bei der WM 2002 mit Weltklasseleistungen nachträglich rechtfertigen, weil sie auf dem Weg ins Finale in Japan und Südkorea keinen namhaften Gegner besiegen musste. Aber genau deshalb haben sie in Palma verloren: Weil sie glaubten, sie müssten wie das beste Team der Welt spielen. Vor allem die zentralen Mittelfeldspieler Jeremies und Carsten Ramelow waren zu sehr beschäftigt, sich in die Offensive einzumischen, schöne Kurzpässe zu spielen. Das, was Deutschland bei der WM stark gemacht hatte, die defensive Organisation, die physische Präsenz, kam sträflich zu kurz. Wie viel Raum und Zeit Spaniens Spielgestalter Ruben Baraja hatte, war atemberaubend.

Dabei ist es ja richtig, dass Völlers Team versucht, technisch feiner zu spielen, sich weiterzuentwickeln. Dafür sind solche Tests da – und auch, um zu sehen, wer nicht gut genug ist. Ramelows miese Form lässt sich mit dem traumatischen Niedergang erklären, den er zurzeit mit Leverkusen durchmacht, aber für Schalkes Jörg Böhme, der zum wiederholten Mal in der Nationalelf blutleer agierte, fallen einem keine Entschuldigungen mehr ein. Die junge Debütanten Tobias Rau, Hanno Balitsch und Benjamin Lauth liefen mit, nicht mehr, nicht weniger.

„Das war heute ein Spiegel dessen, was momentan so los ist“, sagte Verteidiger Christoph Metzelder; dass Spanien momentan einfach besser ist, meinte er. So sicher ist das nicht. Bloß sinnlos waren die Versuche, dies einzuwenden. Von der eigenen Stärke waren die Deutschen in dieser Nacht nicht mehr zu überzeugen. RONALD RENG

Spanien: Casillas (84. Canizares) - Miguel Salgado, Puyol, Cesar (46. Helguera), Aranzabal - Albelda, Baraja (75. Guti) - Joaquin (69. Etxeberria), Raúl (84. Jose Marí), Vicente - Diego Tristan (45. Xavi)Deutschland: Kahn - Friedrich, Wörns, Metzelder, Rau (51. Baumann/ 62. Balitsch) - Schneider (74. Freier), Jeremies, Ramelow, Böhme - Klose (83. Neuville), Bobic (59. Lauth) Zuschauer: 18.000; Tore: 1:0 Raúl (31.), 1:1 Bobic (38.), 2:1 Raúl (76./Foulelfmeter), 3:1 Guti (82.)